FIW-Spotlight: Die aktuellen handelspolitischen Beziehungen der EU mit der Kaukasusregion im Lichte des Ukrainekriegs

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat auch verstärkt die Kaukasusregion ins Licht der europäischen und österreichischen Öffentlichkeit gerückt.

Dieses Spotlight befasst sich mit den Handelsbeziehungen der Kaukasusregion mit der EU und Österreich, sowie deren wichtiger Bedeutung für die Region und trotz dieser unterschiedlichen Intensität deren politischen Beziehungen mit der EU. So ist Georgien im Rahmen eines vertieften und umfassenden Freihandelsabkommens (DCFTA) – genauso wie Moldawien und die Ukraine – das Land mit den umfangreichsten wirtschaftlichen Verflechtungen mit der EU, gefolgt von Armeniens umfassendem und erweitertem Partnerschaftsabkommen (CEPA), während Aserbaidschans Handelsbeziehungen mit der EU immer noch durch ein Partnerschafts- und Kooperationsabkommen (PCA) geregelt werden.

Die Region im Überblick

Die Kaukasusregion umfasst die drei Staaten Armenien, Aserbaidschan und Georgien. In Punkto Fläche und Bevölkerungszahl ist diese Region mit den sechs Westbalkanstaaten (WB6), Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Montenegro, Nordmazedonien und Serbien, vergleichbar. In den drei Kaukasusstaaten leben 16,6 Millionen Menschen auf einer Fläche von 186 Tausend km², während in den WB6 17,7 Millionen Einwohner auf einer Fläche von 204,5 Tausend km² leben (WDI, Eurostat). Aserbaidschan ist etwas größer als Serbien, Armenien ist von der Größe her vergleichbar mit Albanien und Georgien ist etwas größer als Bosnien und Herzegowina und Montenegro. Was das Pro-Kopf-BIP (in KKP) anbelangt, so ist das georgische BIP mit dem Bosnien und Herzegowinas vergleichbar, das Armeniens mit dem Albaniens. Aserbaidschan hat das niedrigste Pro-Kopf-BIP der drei Kaukasusstaaten (Abbildung A).

Die innenpolitische Lage in den drei Ländern ist sehr heterogen. Aserbaidschan schneidet bei Korruption und Pressefreiheit mit Abstand am schlechtesten ab. So rangiert Aserbaidschan im Corruption Perception Index (CPI) auf Platz 157 und im Press Freedom Index der NGO Reporter ohne Grenzen auf Platz 151. Armenien liegt im CPI auf Platz 63 und Georgien auf Platz 41. Im Press Freedom Index liegt hingegen Armenien (Platz 49) vor Georgien (Platz 77). Um einen Vergleich zu den Staaten Mittel- und Südosteuropas zu ziehen, Montenegro rangiert im CPI auf Platz 65, während Rumänien bei der Pressefreiheit auf Platz 53 und Ungarn auf Platz 72 liegen.

Handelsbeziehungen

Der Anteil der Warenexporte am regionalen BIP lag 2022 bei 38 %, während die Importe 29 % ausmachten. Die Exporte der Region werden von Aserbaidschan dominiert, auf welches zuletzt (2022) 80 % entfielen, gefolgt von Georgien (11 %) und Armenien (9 %). Dies ist auf den fossilen Rohstoffreichtum Aserbaidschans und den daraus resultierenden Exporten zurückzuführen. Der Anteil der Importe ist ausgewogener; 41 % der Importe entfielen auf Aserbaidschan, 35 % auf Armenien und 24 % auf Georgien.

Die wichtigsten Handelspartner für die Region sind die EU, Russland und die Türkei (Abbildung B). Auf diese drei Partner entfielen im Jahr 2022, gemessen am Anteil am Gesamtvolumen, 74 % der Ex- und 54 % der Importe der Region. Die EU ist der führende Exportpartner. 57 % aller Ausfuhren gingen 2022 in die EU. Der deutliche Anstieg der Exporte in die EU in den Jahren 2021 und 2022, wurde von den hohen Energiepreisen und der Energielastigkeit der Exporte der Kaukasusregion in die EU getragen. Als Importpartner wurde die EU im letzten Jahr von Russland knapp, mit nur einem Prozentpunkt, überholt. Im Allgemeinen hat der Ukrainekrieg bisher nicht zu großen Verschiebungen im Handelsgefüge mit Drittstaaten geführt. Die Bedeutung der Region für die EU als Handelspartner ist, wenig überraschend, deutlich geringer. So entfielen im Jahr 2022 1,1 % aller EU-Einfuhren und 0,28 % aller EU-Ausfuhren, auf die Region, während auf die WB6 1,2 % der EU-Importe und 1,9 % der EU-Exporte entfielen.

Bei den Exporten in die EU dominieren eindeutig Öl und Gas, auf welches im Jahr 2022 94 % aller kaukasischen Exporte in die EU entfielen, was die übrigen Sektoren bei weitem in den Schatten stellt (Abbildung C). Die EU-Exporte in die Region sind hingegen, sowohl in Bezug auf die Sektoren als auch die drei Bestimmungsländer weit stärker diversifiziert. Die Sachgütererzeugung ist hierbei der wichtigste Sektor. Alleine 41 % der EU-Ausfuhren entfielen auf Maschinen und Fahrzeuge.

Handelsbeziehungen mit Österreich

Für Österreich ist der Anteil der Kaukasusstaaten an den österreichischen Ex- und Importen (ohne Intra-EU-Handel) im Vergleich zur EU noch geringer. So betrug der Anteil der Importe an den Nicht-EU-Importen 0,08 % und an den Exporten nur 0,003 %. Unabhängig davon, ist diese Region eine Schwerpunktregion der österreichischen Außenpolitik. Österreich hat für alle drei Länder eigene diplomatische Vertretungen, wenngleich Österreichs Botschafter für Armenien in Wien sitzt. Die Region ist auch eine Schwerpunktregion der österreichischen Entwicklungszusammenarbeit. Zwei der acht Schwerpunktregionen der österreichischen Entwicklungszusammenarbeit liegen in der Kaukasusregion (Armenien und Georgien), in der auch die Austrian Development Agency (ADA) Büros unterhält.

Die wichtigsten österreichischen Importe aus den Kaukasusstaaten sind ebenso Brennstoffe und Energie, welche entsprechend von Aserbaidschan dominiert werden. Die wichtigsten österreichischen Exporte sind Sachgüter wie Maschinen und Fahrzeuge, bearbeitete Waren sowie Lebensmittel („Ernährung“). Österreich Handelsbilanz mit der Region ist positiv. Im Jahr 2022 wurden Waren im Wert von 62,6 Millionen Euro importiert und im Wert von 154,3 Millionen Euro exportiert.

Energieversorgung

Die Kaukasusregion ist für die EU eine wichtige Transitroute für Öl und Gas und ein bedeutender Lieferant fossiler Brennstoffe. Der Transport aserbaidschanischen Gases erfolgt über die Südkaukasus-Pipeline via Georgien in die Türkei, von wo es dann über die Transanatolische Pipeline (TANAP) auf die europäischen Märkte gelangt. Im Zuge der Versuche Russlands, Gaslieferungen als geopolitische Waffe zu instrumentalisieren, war seit dem Beginn des Ukrainekrieges, eine schnelle Diversifizierung der Gaslieferungen ein wichtiges Ziel der Europäischen Kommission.

Aserbaidschan war in Q1 2023 der neuntwichtigste Öllieferant (welches einfacher zu substituieren ist als Gas) der EU, aber der fünftwichtigste Gaslieferant in Q1 2023 (Abbildung E). Was Abbildung E ebenso verdeutlicht, ist die Diversifizierung weg von russischem Gas. So fiel der Anteil russischen Erdgases an den EU-Erdgasimporten von fast 39 % im Q1 2022 auf 17,4 % im Q1 2023. Als Teil dieser Diversifizierungsstrategie unterzeichnete die EU mit Aserbaidschan am 18. Juli 2022 eine neue Absichtserklärung bezüglich einer strategischen Partnerschaft im Energiebereich. Als Teil dieser Diversifizierungsstrategie unterzeichnete die EU mit Aserbaidschan am 18. Juli 2022 eine neue Absichtserklärung bezüglich einer strategischen Partnerschaft im Energiebereich.[1] Obwohl dies ein nachvollziehbarer Schritt ist, um die Gasversorgung der EU zu diversifizieren, hat die verstärkte Zusammenarbeit mit Aserbaidschan (ähnlich wie jene mit Katar) der Europäischen Kommission auch Kritik eingebracht, weil sie hier, trotz der düsteren Bilanz Aserbaidschans in Bezug auf Menschenrechte und Grundfreiheiten, Geopolitik über die Wahrung europäischer Werte stellt.[2]

Eine konfliktreiche Region

Die Bedeutung der Region für die EU und Österreich ist allgemein weniger wirtschaftlicher denn politischer Natur. Alle drei Länder sind in ungelösten Konflikten mit einem ihrer Nachbarn. Armenien und Aserbaidschan im Bergkarabachkonflikt und Georgien mit Russland bez. Abchasien und Südossetien, welche von Russland faktisch kontrolliert werden.

Der Bergkarabachkonflikt war der blutigste Konflikt, der unmittelbar nach dem Zerfall des Sowjetimperiums ausbrach und zu zwei großen Kriegen, in den Jahren 1992-1994 und 2020, führte. Im ersten Krieg hatten armenische Streitkräfte die überwiegend ethnisch armenische Region Bergkarabach und die umliegenden Gebiete, die völkerrechtlich als Teil Aserbaidschans anerkannt sind, erobert, während Aserbaidschan im zweiten Krieg 2020, die umliegenden Gebiete und etwa ein Drittel von Bergkarabach wieder zurückerobern konnte.

Eine indirekte Konsequenz des Ukrainekriegs ist die gestärkte Rolle der EU als Konfliktmoderatorin, welche letztes Jahr 2022 deutlich zunahm. Während die EU in Georgien mit ihrer EU-Beobachtungsmission (EUMM) schon länger präsent ist, allerdings nicht in Abchasien und Südossetien selbst, da Russland der EUMM hierzu keinen Zugang gewährt, war sie bis vor kurzem im Bergkarabachkonflikt gezwungen, nur Zuseherin zu sein. Die Rückeroberungen Aserbaidschans im Jahr 2020 und das erneute Aufflammen des Konflikts haben allerdings seitdem Armenien sowohl innen- als auch außenpolitisch zunehmend unter Druck gesetzt, auch aufgrund des Unwillens oder der Unfähigkeit Russlands, Armenien zu unterstützen. Dies hat die Rolle der EU als Mediatorin in diesem Konflikt gestärkt, was sich unter anderem in. der Einladung von Armenien Herbst 2022 eine zivile EU-Beobachtungsmission in Armenien (EUMA) einzurichten, sowie den ebenso seit Herbst 2022 in mehreren Runden stattgefundenen Friedensverhandlungen unter dem Vorsitz der EU, manifestiert hat.

Die unterschiedliche Tiefe der politischen Beziehungen zur EU spiegelt auch die unterschiedlichen Ambitionen dieser drei Staaten in Bezug auf eine weitere europäische Integration wider, wobei Georgien mit seinem Beitrittsgesuch eindeutig die Führungsrolle übernimmt. Georgien hat als Teil seines Assoziierungsabkommens ein vertieftes und umfassenden Freihandelsabkommen (DCFTA) unterzeichnet, welches seit 2016 in Kraft ist. Armenien hat sein ursprüngliches Partnerschafts- und Kooperationsabkommen (PCA) zu einem umfassenden und erweiterten Partnerschaftsabkommen (CEPA) aufgewertet, welches seit 2021 in Kraft ist, während die Handelsbeziehungen Aserbaidschans mit der EU immer noch durch ein PCA aus dem Jahre 1999 geregelt werden. Ein ähnliches Muster lässt sich auch bei der Mitgliedschaft in der Energy Community beobachten, einer internationalen Organisation mit Sitz in Wien, welche die Europäische Union und ihre Nachbarn zusammenbringt, um einen integrierten paneuropäischen Energiemarkt zu schaffen.[3] Während Georgien, wie die WB6-Staaten, Vertragspartei ist, hat Armenien Beobachterstatus und Aserbaidschan ist überhaupt nicht assoziiert. Der Krieg in der Ukraine hat allerdings die Dynamik seitdem völlig geändert. So wurden der Ukraine und der Republik Moldau der Beitrittskandidatenstatus zuerkannt, vor Ausbruch des Kriegs noch politisch undenkbar. Georgien hat ebenfalls einen Antrag gestellt hat, welcher Georgien jedoch erst nach dem Erzielen von Reformfortschritten unter Anderem in Bereichen wie Justiz, Korruptionsbekämpfung und der Bekämpfung der organisierten Kriminalität verliehen werden soll. Die Zuerkennung des Kandidatenstatus ist jedenfalls in politischer Hinsicht bedeutsam, da die frühere wirtschaftliche und politische Integration der EU-Nachbarstaaten, außerhalb des Westbalkans, von einer Anwendung der Erweiterungsmethodologie ohne tatsächliche Aussicht auf einen EU-Beitritt gekennzeichnet war.

Conclusio

Die EU ist der mit Abstand wichtigste Handelspartner der Kaukasusregion, woran auch der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine nichts geändert hat. Während die Exporte in die EU von Energieträgern dominiert werden, handelt es sich bei den Importen insbesondere um Sachgüter. Österreichs Handel mit der Region zeigt ein vergleichbares Bild, mit den wesentlichen Unterschieden, dass die Handelsbilanz positiv und der Rohstoffanteil an den Importen geringer ist. Die Rolle der EU als wichtigster Handelspartner konnte sich nicht in vertieften politischen Beziehungen, wie die unterschiedlichen Handelsabkommen (EU-Georgien DCFTA, EU-Armenien CEPA und EU-Aserbaidschan PCA) oder der Mitgliedschaft in der Energy Community illustrieren, manifestieren. Erst Russlands Krieg gegen die Ukraine, hat zu einer stärkeren Rolle der EU in der Region geführt. Aus europäischer Sicht ist die Bedeutung der Region insbesondere geopolitischer Natur, aufgrund ihrer Lage in der südöstlichen Nachbarschaft der EU, als Tor nach Zentralasien und kurz- und mittelfristig als Lieferant und Transitroute für Energieträger.

[1] https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/en/IP_22_4550

[2] Caprile, A. & Przetacznik, J (2023) Armenia and Azerbaijan: Between war and peace. EPRS.

[3] Energy Community, Who we are, https://www.energy-community.org/aboutus/whoweare.html

Autor:

Bernhard Moshammer ist Ökonom am Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw). Sein Forschungsschwerpunkt ist Europäische Wirtschaftspolitik. Zuvor war er im österreichischen Bundeskanzleramt für EU-Angelegenheiten, uA. für den österreichischen EU-Ratsvorsitz tätig. Er hat ein Diplomstudium in Volkswirtschaftslehre an der Wirtschaftsuniversität Wien absolviert und einen M.A. in European Interdisciplinary Studies vom College of Europe, Natolin Campus in Warschau, Polen.

Die Graphiken wurden von Alireza Sabouniha erstellt. Alireza Sabouniha ist Research Assistant am wiiw und absolviert derzeit sein Masterstudium in Volkswirtschaft an der WU Wien.