Das europäische CO2-Grenzausgleichssystem (CBAM) wird derzeit graduell eingeführt und tritt mit 1. Jänner 2026 vollständig in Kraft. Wir evaluieren anhand eines allgemeinen Gleichgewichtsmodells, welche Auswirkungen die neuen Tarife für CO2-intensive Importe auf Wohlstand, Einkommen und Emissionen haben. Was die EU betrifft, so ergibt sich eine Zunahme des Handels und in der Folge ein geringfügiger Anstieg des Wohlstands, wobei die Reallöhne marginal sinken. Obwohl die CO2-Emissionen auf globaler Ebene weniger werden, kommt es durch die Spezialisierung auf CO2-intensivere Wirtschaftszweige in den EU-Ländern zu einem geringen Anstieg der Emissionen innerhalb der EU.
Einleitung
Das derzeit graduell eingeführte europäische CO2-Grenzausgleichssystem (auch europäischer CO2-Grenzausgleichsmechanismus, auf Englisch abgekürzt „CBAM“), sieht vor, dass CO2-Emissionen, die bei der Herstellung importierter Waren verschiedenen Ursprungs anfallen, gleichermaßen bepreist werden – unabhängig davon, ob die Produktion der Waren inner- oder außerhalb der EU erfolgt. Der CBAM hat zwei primäre Ziele. Das erste Ziel besteht darin, das Risiko einer Verlagerung von CO2-Emissionsquellen – d. h. einer Umsiedelung von Produktionsstätten in Nicht-EU-Länder mit weniger stringenten Klimaauflagen – zu senken. Das zweite Ziel besteht darin, für Produzent:innen in Nicht-EU-Ländern einen Anreiz zu schaffen, die beim Herstellungsprozess anfallenden Emissionen zu verringern. Der CBAM gilt seit 1. Oktober 2023, wobei ein Übergangszeitraum bis 31. Dezember 2025 festgelegt wurde. Am 1. Jänner 2026 soll der CBAM dann voll in Kraft treten. Die erste Phase des CBAM, in der Importeur:innen über die Einfuhr bestimmter Warengruppen berichten mussten, endete am 31. Jänner 2024. Seit 1. Jänner 2025 sind sämtliche Importeur:innen bzw. deren Vertretungen verpflichtet, vor der Einfuhr von in den CBAM aufgenommenen Warengruppen ein CBAM-Zertifikat zu beantragen. In der ersten Phase umfassten diese Warengruppen die Kategorien Zement, Eisen und Stahl, Aluminium, Düngemittel, Strom und Wasserstoff. Seit 2026 müssen CBAM-Zertifikate beim Import bestimmter Warengruppen, deren Produktion in Drittländern Treibhausgasemissionen (THG) verursacht hat, erworben werden. Die Menge der zu erwerbenden CBAM-Zertifikate ist von der Menge der während der Produktion entstandenen THG abhängig; der Preis der CBAM-Zertifikate basiert auf dem Preis der Zertifikate des EU-Emissionshandelssystems[1] (EU-EHS) zum Zeitpunkt des Warenimports. Die durch den CBAM auferlegten Importtarife korrelieren demensprechend mit den Kosten, die im Fall einer Produktion innerhalb der EU durch die Emission von THG sowie den Erwerb von EU-EHS-Kontingenten angefallen wären.
Aus wirtschaftsanalytischer Sicht belegt der CBAM Importe aus bestimmten Wirtschaftssektoren mit auf CO2-Emissionen fokussierten Tarifen. Die Implikationen solcher Tarife erörtern Flórez Mendoza et al. (2024) anhand eines allgemeinen Gleichgewichtsmodells nach dem Ansatz von Caliendo und Parro (2015), und zwar anhand der länderspezifischen Input-Output-Tabellen der OECD von 2023 (OECD-ICIO 2023), welche Daten für 76 Länder und 45 Wirtschaftszweige mit Informationen zu den CO2-Emissionen der laut Branchenklassifikation gleichwertigen Wirtschaftszweige für das rezenteste verfügbare Jahr (2020) kombinieren.
[1] Vgl. https://climate.ec.europa.eu/eu-action/eu-emissions-trading-system-eu-ets_en
Auswirkungen des europäischen CBAM auf den Wohlstand
Die CBAM-Tarife sind vom Preis der EU-Emissionshandelszertifikate abhängig, wobei in unserem Basisszenario eine Bepreisung der CO2-Emissionen in Höhe von 100 Euro angenommen wird. Von den 45 in unserem Datensatz vertretenen Wirtschaftszweigen sind 9 von solchen Tarifen betroffen. Die wichtigsten betroffenen Warengruppen sind Strom (NACE D), Erdöl (NACE C19), Mineralien (NACE C23) und Metalle (NACE C24), mit Tarifäquivalenten von bis zu 10 % bei einem angenommenen CO2-Preis von 100 Euro.
Die wirtschaftlichen Implikationen solcher durch die EU- und EFTA-Länder auferlegter Tarife werden in Abbildung 1 dargestellt. Es wird deutlich, dass sich die Handelsbedingungen für die EU verbessern, da die Produkte unelastisch bereitgestellt werden; die Importpreise abzüglich der CBAM-Tarife sinken, während die Exportpreise steigen. In dem angenommenen Basisszenario mit einer Bepreisung der CO2-Emissionen in Höhe von 100 Euro nimmt der Wohlstand in der EU laut Modell um 0,016 % zu, während die Handelsbedingungen und der Wohlstand in anderen Ländern um 0,005 % sinken. Global gesehen nimmt der Wohlstand nur marginal ab. Auf Grund der allgemein geringeren Nachfrage sinken die Reallöhne in allen Ländergruppen, allem voran in der EU (um 0,025 %). Je höher der zugrundeliegende CO2-Preis, desto stärker die Auswirkungen (siehe Abbildung 1).
Auswirkungen auf die globalen CO2-Emissionen
Die Zu- bzw. Abnahme von CO2-Emissionen wird in diesem Rahmen ausschließlich mit veränderten wirtschaftlichen Spezialisierungsmustern in Zusammenhang gebracht. Die Tarife, die im angenommenen Basisszenario mit einer Bepreisung der CO2-Emissionen in Höhe von 100 Euro beziffert werden, führen zu einer zunehmenden Spezialisierung auf CO2-intensive Wirtschaftszweige in der EU, wodurch die CO2-Emissionen in der EU um 0,72 % zunehmen (siehe Abbildung 2). Das Gegenteil geschieht in den anderen Ländern. Dort sinken die CO2-Emissionen um 0,143 %. Die globalen Auswirkungen sind nicht klar definierbar und hängen davon ab, wie CO2-intensiv die globale Warenproduktion in den beiden Ländergruppen ist. Allerdings ist die Produktion in EU-Ländern durchschnittlich weniger CO2-intensiv als in anderen Ländern, und die Produktion von Waren, deren Herstellung besonders CO2-intensiv ist, wird in die EU verlagert. Daher sinken die CO2-Emissionen global gesehen um 0,08 %. Je höher der CO2-Preis, desto stärker wird die Spezialisierung auf CO2-intensive Wirtschaftszweige in der EU vorangetrieben. Dementsprechend steigen die CO2-Emissionen stärker in der EU; nehmen aber global gesehen ab (siehe Abbildung 2).
Schlussfolgerungen
Erstens deuten die Ergebnisse dieser Studie global gesehen auf kleine, aber doch positive Umweltauswirkungen hin. Die Einführung des europäischen CBAM führt zu einer Reduktion der CO2-Emissionen insgesamt, da weniger Waren in Ländern mit CO2-intensiven Herstellungsprozessen, und mehr Waren in Ländern mit weniger CO2-intensiven Herstellungsprozessen gefertigt werden. Wie erwähnt, ist die Auswirkung auf das globale Emissionsvolumen aber relativ gering.
Zweitens zeigen unsere Hochrechnungen, dass der Wohlstand in jenen Ländern, die am CBAM teilnehmen (bzw. in den EU- und EFTA-Ländern), zunimmt. Umgekehrt nimmt der Wohlstand in den anderen Ländern ab. Was die Zu- bzw. Abnahme von CO2-Emissionen betrifft, so ergeben sich insgesamt nur relativ geringe Veränderungen.
Drittens zeigt sich: Je höher der zugrundeliegende CO2-Preis, desto stärker sind die Auswirkungen auf alle in der Studie berücksichtigen Variablen. Das überrascht nicht, zumal höhere CO2-Preise die Anwendung eines höheren CBAM-Tarifs implizieren.
Allerdings führt der CBAM zu einem Anstieg der CO2-Emissionen in der EU, da sich die dortigen Wirtschaftszweige stärker auf die Produktion von Waren spezialisieren, deren Herstellung CO2-intensiv ist. Hier ist unbedingt zu beachten: Dieser Ansatz berücksichtigt nicht, dass höhere Importkosten (und letztendlich steigende CO2-Preise) für Firmen einen Anreiz darstellen, weniger CO2-intensive Technologien einzusetzen. Außerdem könnten sektorspezifische Strategien im Rahmen des erweiterten klimapolitischen Rahmens der EU solch einen technologischen Wandel begünstigen (siehe Draghi 2024, Kapitel 3). Politische Entscheidungsträger:innen sollten sich auf die Regulierung von Sektoren mit hohen Emissionen – wie etwa der Energieversorgung und Schwerindustrie – konzentrieren und Anreize für den Umstieg auf klimafreundliche Technologien schaffen. Wirtschaftszweige, die geringe Emissionen verursachen, könnten von Maßnahmen profitieren, die den Fortschritt und umweltfreundliche Innovationen voranbringen. Solch ein Ansatz würde dem europäischen Klimagesetz („EU Green Deal“) entsprechen, einen effektiven Übergang zu einer CO2-emissionsarmen Wirtschaft fördern und zugleich die Wettbewerbsposition der EU stärken.
Literaturangaben
Caliendo, L. & F. Parro (2015), Estimates of the trade and welfare effects of NAFTA, The Review of Economic Studies, Bd. 82(1), S. 1-44.
Draghi, M. (2024), The future of European competitiveness – Part A: A competitiveness strategy for Europe, Europäische Kommission. Abrufbar unter: https://commission.europa.eu/topics/strengthening-european-competitiveness/eu-competitiveness-looking-ahead_en
Flórez Mendoza, J., O. Reiter & R. Stehrer (2024), EU carbon border tax: General equilibrium effects on income and emissions, wiiw-Arbeitspapier, Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw), erscheint in Kürze.
Autoren:
Robert Stehrer ist wissenschaftlicher Leiter am Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw). Seine Expertise deckt ein breites Feld der Wirtschaftsforschung ab, das von Fragen der internationalen Integration, des Handels und der technologischen Entwicklung bis hin zu Arbeitsmärkten und angewandter Ökonometrie reicht. Seine jüngsten Arbeiten konzentrieren sich auf die Analyse und die Auswirkungen der Internationalisierung der Produktion und des Wertschöpfungshandels. Weitere Beiträge beziehen sich auf den Zusammenhang von Digitalisierung, Demographie, Produktivität und Arbeitsmärkte. Er studierte Volkswirtschaft an der Johannes Kepler Universität und Soziologie am Institut für Höhere Studien (IHS) und ist Lektor für Wirtschaftswissenschaften an der Wirtschaftsuniversität Wien (WU Wien) und der Technischen Universität Wien (TU Wien).
Javier Flórez Mendoza ist Ökonom am Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw). Seine Forschungsschwerpunkte sind internationaler Handel, Handelspolitik, europäische Integration, Umweltökonomie und Regionalökonomie. Er ist PhD-Kadidat an der Wirtschaftsuniversität Wien.
Die Grafiken wurden von Alireza Sabouniha erstellt. Alireza Sabouniha ist Research Assistant am wiiw und PhD-Kandidat an der Leopold-Franzens Universität Innsbruck.