Globaler Handel und geopolitische Fragmentierung

Der Großteil der weltweiten Handelsströme entfällt auf einige wenige Länder. Neu entstehende geopolitische Ländergruppen wie die BRICS-Staaten machen etwa ein Fünftel der weltweiten Exporte aus, wobei dieser Anteil hauptsächlich auf China zurückzuführen ist. Unterteilt man die Länder in eine westliche Gruppe (einschließlich der USA und der europäischen Ökonomien) und eine auf China ausgerichtete Gruppe, so zeigt sich, dass auf erstere fast zwei Drittel des Welthandels entfallen. Wie einige neuere Studien zeigen, könnte eine zunehmende geopolitische Fragmentierung starke negative Auswirkungen für alle Länder haben.

Neben den traditionell betrachteten Kräften, die die bilateralen Handelsflüsse beeinflussen (z. B. die Größe der Handelspartner, die geografische oder kulturelle Entfernung, Sprachbarrieren oder bilaterale handelspolitische Maßnahmen), bestimmen geopolitische Entwicklungen zunehmend die globalen Handelsströme (siehe Bosone et al. 2024). Insbesondere seit dem völkerrechtswidrigem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine im Jahr 2022 gewinnen geopolitische Allianzen verstärkt an Bedeutung und der Trend zu einer bi- oder multipolaren geopolitischen und wirtschaftlichen Weltordnung scheint immer unumkehrbarer zu werden. In diesem Spotlight zeigen wir ausgewählte Belege für die Muster der bilateralen Handelsströme zwischen Ländergruppen, die aus einer aktuellen geopolitischen Perspektive definiert wurden.

Der Löwenanteil der weltweiten Handelsströme entfällt auf einige wenige Länder

Etwa die Hälfte der weltweiten Exportströme wird von nur 10 Ländern generiert, darunter China (mit 16 %), die Vereinigten Staaten (9 %) und Deutschland (8 %). Dasselbe gilt für die Einfuhren, wobei die Vereinigten Staaten ebenfalls führend sind (mit fast 15 %), gefolgt von China (10 %) und Deutschland (7 %). Darüber hinaus entfallen 75 % der Ausfuhren auf 21 Länder und 90% der Ausfuhren auf 38 Länder (von insgesamt mehr als 230 Ländern). Das Gleiche gilt für die Importe, die zu 75 % auf 20 Länder und zu rund 90 % auf 41 Länder entfallen. Zum Vergleich: Auf Österreich entfällt rund 1 % des weltweiten Warenhandels.

Welthandel nach geopolitischen Ländergruppen

Aus geopolitischer Sicht ist es aufschlussreicher, die Welthandelsmuster anhand von Ländergruppen zu betrachten. Die Gruppe der Sieben (G7) beispielsweise ist ein zwischenstaatliches politisches und wirtschaftliches Forum, das sich aus Kanada, Frankreich, Deutschland, Italien, Japan, dem Vereinigten Königreich und den Vereinigten Staaten zusammensetzt, wobei die Europäische Union (EU) ein „nicht aufgezähltes Mitglied“ ist. Unseren Daten zufolge entfallen auf die G7-Länder rund ein Drittel der weltweiten Exporte, also etwa doppelt so viel wie auf China.

Eine Ländergruppe, die an geopolitischer Bedeutung gewinnt, ist die der BRICS (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika), die darauf abzielt, die Dominanz der westlichen Volkswirtschaften zu brechen und die geopolitische und wirtschaftliche Ordnung zu verändern (siehe auch Holzner 2024)[1].  Doch wie wichtig ist der Handel der BRICS im Vergleich zu anderen Gruppen von Ökonomien? Auf die BRICS entfallen etwa ein Fünftel der weltweiten Ausfuhren und 15 % der weltweiten Einfuhren (Abbildung 2). Man sollte jedoch beachten, dass diese Anteile von China dominiert werden, das für drei Viertel der BRICS-Exporte verantwortlich ist (Rest: Indien 9 %, Brasilien 7,5 %, Russland 6,3 % und Südafrika 3 %). Auf die EU27 entfällt immer noch fast ein Drittel der weltweiten Exporte und Importe, wobei etwa 20 % der Handelsströme innerhalb der EU27 stattfinden. Auf die Vereinigten Staaten entfallen etwa 10 % der weltweiten Ausfuhren (was ungefähr dem Anteil der EU27 ohne den Intra-EU27-Handel entspricht) und 15 % der weltweiten Einfuhren. Für die übrigen Länder (darunter einige der oben erwähnten Top-10-Exporteure, wie Kanada, Japan, Südkorea und Mexiko) beträgt der Anteil etwa 38 %.

Die BRICS-Gruppe ist jedoch selbst eine recht heterogene Gruppe von Ländern (was für BRICS+ noch mehr gilt). Unter diesen Umständen könnte man die Länder in die folgenden Gruppen einteilen: „US-Verbündete“ (neben den Vereinigten Staaten wären dies: Kanada, die EU-27-Länder, andere europäische Volkswirtschaften, einschließlich der Schweiz, Norwegens und des Vereinigten Königreichs, Japan, Australien und Neuseeland), „US orientiert“ (z. B. Kolumbien, Mexiko, Marokko, die Türkei und Südkorea), „China orientiert“ (einschließlich vieler Länder in Afrika und Asien) und „China-Verbündete“ (z. B. zusätzlich zu China der Iran, Nordkorea, Pakistan und Russland). Zu den nicht verbündeten Ländern gehören Brasilien, Indien, Indonesien und Nigeria.

Im Folgenden fassen wir die „US orientieren“ und die „US-Verbündeten“ zu einem „Westlichen Block“ sowie die „China orientierten“ und die „China-Verbündeten“ zu einem „China-Block“ zusammen. Die Anteile am Welthandel nach diesen Blöcken sind in Abbildung 3 dargestellt. Obwohl diese Zuordnungen bis zu einem gewissen Grad unscharf sind, sind die groben Muster erkennbar: Während fast zwei Drittel der weltweiten Ausfuhren aus dem westlichen Block stammen, entfallen etwas weniger als 30 % auf den chinesischen Block. Auf die übrigen Länder entfallen etwa 10 % der weltweiten Ausfuhren. Interessant ist auch, dass der Handel innerhalb des westlichen Blocks etwa die Hälfte der weltweiten Ausfuhren ausmacht, während der Handel innerhalb des chinesischen Blocks nur für etwa 9 % des Welthandels verantwortlich ist. Eine weitere wichtige Tatsache ist, dass mehr als die Hälfte der Exporte des China-Blocks (oder 16 % der weltweiten Exporte) in den westlichen Block geliefert werden, während nur etwa 16% der Exporte des westlichen Blocks (10 % der weltweiten Exporte) von diesen Ländern in die Länder des China-Blocks geliefert werden.

Was die Einfuhren betrifft, so ist der Anteil des westlichen Blocks an den weltweiten Einfuhren mit 69 % höher als der Anteil an den weltweiten Ausfuhren (62 %) und deutet somit auf ein Handelsdefizit hin. Das Gegenteil ist der Fall für den chinesischen Block, auf den 22 % der Einfuhren entfallen (im Vergleich zu einem Anteil von 28 % an den weltweiten Ausfuhren).

Die Kosten der zunehmenden geopolitischen Fragmentierung

Es wurden einige stilisierte Fakten über die Geometrie des Handels innerhalb und zwischen Ländergruppen, die entlang geopolitischer Dimensionen definiert sind, dargestellt. Diese bilateralen Muster deuten auch auf das Vorhandensein starker gegenseitiger Beziehungen hin, und zwar sowohl in Bezug auf die Importabhängigkeit als auch in Bezug auf die Abhängigkeit von ausländischen Märkten für alle beteiligten Handelspartner, wie in der jüngeren Literatur dokumentiert wurde. Eine fortgesetzte und zunehmende geopolitische Entfernung wird sich daher wahrscheinlich für alle Länder nachteilig auswirken, wie einige Literaturstellen zeigen. Góes und Bekkers (2022) kommen beispielsweise zu dem Ergebnis, dass eine potenzielle Entkopplung des Welthandelssystems in zwei Blöcke – einen US-zentrierten und einen China-zentrierten Block – den globalen Wohlstand erheblich verringern würde. Ergebnisse, die in dieselbe Richtung weisen, sind in Campos et al. (2023a, 2023b) dokumentiert. Schließlich zeigen die in Aiyar et al. (2023) zusammengefassten Ergebnisse, dass die Kosten der Handelsfragmentierung zwischen 0,2 % und 7 % des BIP liegen werden, je nach spezifischem Szenario, Modellannahmen und betrachteten Länderblöcken. Kommt die technologische Entkopplung hinzu, könnte der Produktionsverlust in einigen Ländern 8 % bis 12 % erreichen. Angesichts dieser starken negativen Auswirkungen wäre es im gemeinsamen Interesse aller Länder, das derzeitige regelbasierte multilaterale Handelssystem zu erhalten und zu sichern.


[1] Der Begriff „BRIC“ wurde 2001 von Jim O’Neill, dem damaligen Chefvolkswirt von Goldman Sachs, geprägt. Die Organisation wurde 2006 offiziell ins Leben gerufen und 2010 um Südafrika erweitert. Seit 2024 gehören der Organisation auch Ägypten, Äthiopien, Iran, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate an, was zu einer Namensänderung in „BRICS+“ führte. Argentinien lehnte die Mitgliedschaft in der Gruppe ab, nachdem Javier Milei Ende 2023 deren Präsident geworden war.

Autor:

Robert Stehrer ist wissenschaftlicher Leiter am Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw). Seine Expertise deckt ein breites Feld der Wirtschaftsforschung ab, das von Fragen der internationalen Integration, des Handels und der technologischen Entwicklung bis hin zu Arbeitsmärkten und angewandter Ökonometrie reicht. Seine jüngsten Arbeiten konzentrieren sich auf die Analyse und die Auswirkungen der Internationalisierung der Produktion und des Wertschöpfungshandels. Weitere Beiträge beziehen sich auf den Zusammenhang von Digitalisierung, Demographie, Produktivität und Arbeitsmärkte. Er studierte Volkswirtschaft an der Johannes Kepler Universität und Soziologie am Institut für Höhere Studien (IHS) und ist Lektor für Wirtschaftswissenschaften an der Wirtschaftsuniversität Wien (WU Wien) und der Technischen Universität Wien (TU Wien).

Die Grafiken wurden von Alireza Sabouniha erstellt. Alireza Sabouniha ist Research Assistant am wiiw und hat kürzlich sein Masterstudium in Volkswirtschaft an der WU Wien abgeschlossen.