Dieser Artikel basiert auf einem noch unveröffentlichten Paper, das im Rahmen des Projekts TWIN SEEDS Horizon Europe verfasst wird, und untersucht die Wertschöpfungsverteilung auf verschiedene unternehmerische Funktionsbereiche (‚business functions‘), die innerhalb von Tochtergesellschaften multinationaler Unternehmen (MNU) in (Greenfield- bzw. Brownfield-)Projekte involviert sind. Die Validität des Konzeptes der ‘Smile Curve‘, das die Schöpfung von Mehrwert mit verschiedenen Abschnitten globaler Wertschöpfungsketten (GVC) in Zusammenhang bringt, soll einer Prüfung unterzogen werden, und zwar anhand der Analyse mehrerer Verteilungsvariablen (Aufschlagssätze als Näherungswerte für Gewinnspannen; Lohnsätze; Anteile, welche Arbeitsleistungen zu Wertschöpfung und Umsatz beitragen).
Einleitung: Die Bedeutung der Wertschöpfungsverteilung innerhalb globaler Wertschöpfungsketten (GVC)
Die Wertschöpfungsverteilung innerhalb globaler Wertschöpfungsketten (GVC) interessiert Ökonomen und Entscheidungsträger schon seit geraumer Zeit. Die so genannte ‘Smile Curve‘ vermittelt das Konzept, dass die höchste Wertschöpfung bei Arbeitstätigkeiten erzielt wird, die dem Fertigungsprozess vor- bzw. nachgelagert sind, wobei Tätigkeiten im eigentlichen Fertigungsbereich mit vergleichsweise geringer Wertschöpfung einhergehen. Die GVC durchlaufen aktuell einen Wandel, der durch technischen Fortschritt, geopolitische Spannungen und den Umstieg auf umweltfreundlichere Wirtschaftsmodelle vorangetrieben wird. Diese Veränderungen erfordern resiliente Lieferketten, sodass sich erneut die Frage aufdrängt, wie die Schaffung von Mehrwert auf verschiedene Produktionsstufen des Wertschöpfungsprozesses verteilt ist.
Die erwähnte „Smile Curve“ ist ein Konzept, das von Mudambi (2008) geprägt wurde[i]. Es stellt dar, dass die Wertschöpfung bei vorgelagerten Arbeitstätigkeiten (Forschung & Entwicklung, Design, zentrale Unternehmenssteuerung, Finanzierung) sowie nachgelagerten Tätigkeiten (Marketing, Vertrieb, Logistik) am höchsten ist; der eigentliche Fertigungsprozess geht mit geringerer Wertschöpfung einher. Durch die Analyse der Wirtschaftsaktivitäten von Tochtergesellschaften multinationaler Unternehmen (MNU) können die Faktoren offengelegt werden, welche die Wertschöpfungsverteilung je nach Standort und unternehmerischem Funktionsbereich beeinflussen. Im Rahmen des Forschungsprojekts TWIN SEEDS Horizon Europe wurde das Konzept der „Smile Curve“, das die Schaffung von Mehrwert mit verschiedenen Etappen globaler Wertschöpfungsketten (GVC) in Zusammenhang bringt, einer Prüfung unterzogen, und zwar anhand der Analyse mehrerer Verteilungsvariablen (Aufschlagssätze als Näherungswerte für Gewinnspannen; Lohnsätze; Anteile, welche verschiedene Arbeitsleistungen zu Wertschöpfung und Umsatz beitragen). Dieser Artikel basiert auf einer detaillierten Analyse von Daten aus der Orbis-Unternehmensdatenbank, die einen Zeitraum von über einem Jahrzehnt umfassen, und untersucht die funktionalen Spezialisierungsmuster innerhalb der internationalen Geschäftsbereiche von MNU-Tochterunternehmen sowie die Auswirkungen dieser Spezialisierungsmuster auf die Wertschöpfungsverteilung.
Die Bedeutung funktionaler Spezialisierungen verstehen
MNU gestalten die GVC entscheidend mit, indem sie die funktionale Spezialisierung entlang der Wertschöpfungskette fördern. Sie weisen bestimmte Tätigkeiten strategisch bestimmten Standorten zu, um die Effizienz und Profitabilität ihrer Geschäfte zu maximieren. Unsere Studie unterscheidet grob zwischen fünf unternehmerischen Funktionsbereichen:
1. Zentrale Unternehmenssteuerung – zentrale Entscheidungsfindung und Management.
2. F&E sowie IKT – Innovation, technologische Entwicklung und digitale Infrastruktur.
3. Finanz- und Unternehmensdienste (engl. Finance and Business Services, FBS) – Administrations- und Finanztätigkeiten.
4. Fertigung – Kerntätigkeiten in der Fertigung.
5. Verkauf, Marketing und Logistik (engl. Sales, Marketing and Logistics, SML) – Vertrieb, Marketing und Kundenmanagement.
Anhand dieser Kategorien kann einfacher untersucht werden, wie die Wertschöpfung verteilt ist – sowohl in Bezug auf verschiedene unternehmerischen Funktionsbereichen als auch auf verschiedene globale Regionen bzw. Ländern, wobei zwischen globalen und europäischen Wertschöpfungsmustern unterschieden wird.
Kernresultate der Studie in Bezug auf die Wertschöpfungsverteilung
1. Das Konzept der „Smile Curve“ trifft zu, was den Mehrwert anbelangt
Im Rahmen unserer Analyse konnte gezeigt werden, dass das Konzept der ‘Smile Curve‘ weiterhin von Relevanz ist. Die Wertschöpfungsquoten (Anteil der Wertschöpfung am Umsatz) sind in den Bereichen Zentrale Unternehmenssteuerung, F&E und IKT, FBS und SML durchwegs höher als im Fertigungsbereich (Bild 1). Diese Erkenntnis unterstreicht, dass hochqualifizierte, wissensintensive Tätigkeiten maßgeblich zur Wertschöpfung beitragen.
2. Die Aufschläge (Profitmargen) sind jedoch bei hoch-wertschöpfenden Funktionen geringer
Im Gegensatz zu herkömmlichen Interpretationen der ‘Smile Curve‘, welche sich primär auf die Wertschöpfungsquoten fokussieren, zeigen wir, dass die Gewinnspannen in Funktionsbereichen, die der Fertigung vor- bzw. nachgelagert sind, tendenziell geringer ausfallen als im Fertigungsbereich selbst (Bild 2). Das ist unter anderem auf die höheren Betriebs- und Arbeitskosten in wissensintensiveren Branchen zurückzuführen. Die höheren wirtschaftlichen Gewinne in diesen Segmenten manifestieren sich nicht so sehr in hohen Gewinnspannen für die Unternehmen, sondern eher in Form erhöhter Lohnsätze und vergleichsweise höheren Anteilen, die die Arbeitsleistungen zu Wertschöpfung und Umsatz beitragen.
3. Die Anteile, die die Arbeitsleistungen zu Wertschöpfung und Umsatz beitragen, spiegeln die funktionale Spezialisierung wider
Die Lohnsätze sind in Funktionsbereichen, die der Herstellung vor- bzw. nachgelagert sind, deutlich höher, was darauf zurückzuführen ist, dass die Unternehmen auf qualifiziertes Personal angewiesen sind. Die Anteile, die die Arbeitsleistungen zu Wertschöpfung und Umsatz beitragen, sind ebenfalls erhöht, was darauf hindeutet, dass Mitarbeiter:innen in diesen Segmenten eine stärkere Verhandlungsmacht haben und mehr verdienen (Bild 2). Im Gegensatz dazu werden Tätigkeiten im Fertigungsbereich schlechter entlohnt und die Arbeitsleistung beträgt einen geringeren Anteil zu Wertschöpfung und Umsatz, wobei oftmals Automatisierung und andere kosteneffiziente Praktiken zum Einsatz kommen.
Regionale Muster der funktionalen Spezialisierung
Unsere Studie hat markante regionale Disparitäten (Bild 3) bei der Wertschöpfungsverteilung entlang der GVC aufgezeigt:
1. Globale vs. europäische Dynamiken
MNU profitieren von erheblichen globalen Unterschieden, was Löhne, Qualifizierung und Arbeitsmarktbedingungen betrifft – sodass sie in Niedriglohn-Ländern geringere Löhne bezahlen können und durch ihre Marktpositionierung über einen größeren Spielraum zur Erzielung höherer Gewinnspannen verfügen. Innerhalb Europas gibt es weniger differenzierte Lohnstrukturen in den unterschiedlichen Funktionsbereichen, da die qualifizierte Arbeitnehmerschaft homogener verteilt und der Arbeitsmarkt stärker durch Maßnahmen und Vorschriften harmonisiert ist. Im Vergleich zu Tochterunternehmen im nicht-europäischen Raum, zeigt sich bei europäischen Tochterunternehmen ein geringerer Lohnunterschied zwischen Funktionen im und außerhalb des Fertigungsbereichs.
2. Der Vorteil der EU-MOE in den Bereichen F&E, IKT sowie Verkauf, Marketing und Logistik (SML)
Eine Analyse der Geschäftstätigkeiten, die multinationale Unternehmen (durch ihre Tochterunternehmen) in mittelosteuropäischen EU-Mitgliedsländern (EU-MOE) durchführen, zeigt, dass sie vor allem in Funktionsbereichen, die sich mit F&E, IKT sowie SML beschäftigen, hohe Gewinnspannen erzielen. Die Wertschöpfungsraten in diesen Funktionen übertreffen jene im Fertigungsbereich – eine Entwicklung, die durch den vergleichsweise geringeren Kostenaufwand und die wachsende Verfügbarkeit von qualifizierten Arbeitskräften begünstigt wird. Betrachtet man die Situation unter dem Gesichtspunkt der Kosten, so suggerieren diese Trends, dass die EU-MOE-Wirtschaften zu wettbewerbsfähigen Hubs für Innovation und Logistik innerhalb der GVC heranwachsen.
Implikationen für Entscheidungsträger:innen
Entscheidungsträger:innen sind dazu aufgerufen, mit hoher Wertschöpfung assoziierte Funktionsbereiche (F&E, IKT, zentrale Steuerung) zu fördern. Dieses Ziel kann durch gezielte Initiativen, (Fort-) Bildungsinvestitionen und infrastrukturelle Verbesserungen erreicht werden, die Arbeitskräften besseren Zugang zu hoch-wertschöpfenden Funktionen ermöglichen.
Wenn sich Unternehmen darum bemühen, qualifizierte Arbeitskräfte in den verschiedenen Unternehmensfunktionsbereichen einzustellen, so führt das zu geringeren Disparitäten in der Wertschöpfungsverteilung. Dies kann durch Kollektivvertragsverhandlungen die zu Angleichung von Lohnstrukturen in diesen Bereichen führensowie durch Fortbildungsmöglichkeiten gefördert werden.
Die Wertschöpfungsverteilung entlang globaler GVCs sollte auch auf globaler/regionaler Ebene transparent gestaltet sein. Steuerregelungen und Standards für die Unternehmensberichterstattung sollten Praktiken unterbinden, die darauf abzielen, Profite vorrangig in Niedrigsteuerländern zu erzielen, sowie von Praktiken, welche die Beiträge von Unternehmenstätigkeiten in unterschiedlichen Regionen stark unterscheidlich entgelten.
Ausblick: Wie die Wertschöpfungsverteilung in GVC künftig aussehen wird
Da die globalen Wirtschaften zunehmend auf Nachhaltigkeit und Digitalisierung ausgerichtet werden, ist davon auszugehen, dass die Wertschöpfungsverteilung innerhalb der GVC einem Wandel unterworfen sein wird. Künftige Studien sollten untersuchen, wie sich diese Trends auf die funktionale Spezialisierung von internationalen Wertschöpfungsketten auswirken. Dabei können detaillierte Daten zu Transaktionen zwischen MNUs näheren Aufschluss über das Zusammenspiel von Preisstrategien, Lohnverhandlungen, Upskilling und der Wertschöpfungsverteilung geben.
Schlussfolgerung
Die ‘Smile Curve‘ ist und bleibt ein sehr nützliches Konzept, wenn es darum geht, die Wertschöpfungsverteilung innerhalb der GVC zu veranschaulichen. Die Ergebnisse unserer Studie verdeutlichen, dass die funktionale Spezialisierung entlang der Wertschöpfungskette erheblich beeinflusst, wie Wertschöpfungsketten ausgestaltet und geschöpfte Werte verteilt werden. Entscheidungsträger:innen sind dazu aufgerufen, können diese Erkenntnisse nutzen, um ihre Wirtschaftsbereiche als attraktive Hubs für hoch-wertschöpfende Tätigkeiten zu positionieren, die auch einem gut qualifizierten Personal sein Tätigkeit entsprechend entgelten und damit ein gerechtes Wachstum fördern.
[i] Mudambi, R. (2008). Location, control and innovation in knowledge-intensive industries. Journal of Economic Geography, 8 (5), 699-725.
Autoren:
Mahdi Ghodsi ist Wirtschaftswissenschaftler am Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche, Lektor an der Wirtschaftsuniversität Wien und Senior Fellow und Leiter des Bereichs Wirtschaft am Center for Middle East and Global Order.
Michael Landesmann ist Senior Research Associate am Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche. Er ist emeritierter Professor an der Johannes Kepler Universität Linz.
Die Grafiken wurden von Alireza Sabouniha erstellt. Alireza Sabouniha ist Research Assistant am wiiw und PhD-Kandidat an der Leopold-Franzens Universität Innsbruck.
Das europäische CO2-Grenzausgleichssystem (CBAM) wird derzeit graduell eingeführt und tritt mit 1. Jänner 2026 vollständig in Kraft. Wir evaluieren anhand eines allgemeinen Gleichgewichtsmodells, welche Auswirkungen die neuen Tarife für CO2-intensive Importe auf Wohlstand, Einkommen und Emissionen haben. Was die EU betrifft, so ergibt sich eine Zunahme des Handels und in der Folge ein geringfügiger Anstieg des Wohlstands, wobei die Reallöhne marginal sinken. Obwohl die CO2-Emissionen auf globaler Ebene weniger werden, kommt es durch die Spezialisierung auf CO2-intensivere Wirtschaftszweige in den EU-Ländern zu einem geringen Anstieg der Emissionen innerhalb der EU.
Einleitung
Das derzeit graduell eingeführte europäische CO2-Grenzausgleichssystem (auch europäischer CO2-Grenzausgleichsmechanismus, auf Englisch abgekürzt „CBAM“), sieht vor, dass CO2-Emissionen, die bei der Herstellung importierter Waren verschiedenen Ursprungs anfallen, gleichermaßen bepreist werden – unabhängig davon, ob die Produktion der Waren inner- oder außerhalb der EU erfolgt. Der CBAM hat zwei primäre Ziele. Das erste Ziel besteht darin, das Risiko einer Verlagerung von CO2-Emissionsquellen – d. h. einer Umsiedelung von Produktionsstätten in Nicht-EU-Länder mit weniger stringenten Klimaauflagen – zu senken. Das zweite Ziel besteht darin, für Produzent:innen in Nicht-EU-Ländern einen Anreiz zu schaffen, die beim Herstellungsprozess anfallenden Emissionen zu verringern. Der CBAM gilt seit 1. Oktober 2023, wobei ein Übergangszeitraum bis 31. Dezember 2025 festgelegt wurde. Am 1. Jänner 2026 soll der CBAM dann voll in Kraft treten. Die erste Phase des CBAM, in der Importeur:innen über die Einfuhr bestimmter Warengruppen berichten mussten, endete am 31. Jänner 2024. Seit 1. Jänner 2025 sind sämtliche Importeur:innen bzw. deren Vertretungen verpflichtet, vor der Einfuhr von in den CBAM aufgenommenen Warengruppen ein CBAM-Zertifikat zu beantragen. In der ersten Phase umfassten diese Warengruppen die Kategorien Zement, Eisen und Stahl, Aluminium, Düngemittel, Strom und Wasserstoff. Seit 2026 müssen CBAM-Zertifikate beim Import bestimmter Warengruppen, deren Produktion in Drittländern Treibhausgasemissionen (THG) verursacht hat, erworben werden. Die Menge der zu erwerbenden CBAM-Zertifikate ist von der Menge der während der Produktion entstandenen THG abhängig; der Preis der CBAM-Zertifikate basiert auf dem Preis der Zertifikate des EU-Emissionshandelssystems[1] (EU-EHS) zum Zeitpunkt des Warenimports. Die durch den CBAM auferlegten Importtarife korrelieren demensprechend mit den Kosten, die im Fall einer Produktion innerhalb der EU durch die Emission von THG sowie den Erwerb von EU-EHS-Kontingenten angefallen wären.
Aus wirtschaftsanalytischer Sicht belegt der CBAM Importe aus bestimmten Wirtschaftssektoren mit auf CO2-Emissionen fokussierten Tarifen. Die Implikationen solcher Tarife erörtern Flórez Mendoza et al. (2024) anhand eines allgemeinen Gleichgewichtsmodells nach dem Ansatz von Caliendo und Parro (2015), und zwar anhand der länderspezifischen Input-Output-Tabellen der OECD von 2023 (OECD-ICIO 2023), welche Daten für 76 Länder und 45 Wirtschaftszweige mit Informationen zu den CO2-Emissionen der laut Branchenklassifikation gleichwertigen Wirtschaftszweige für das rezenteste verfügbare Jahr (2020) kombinieren.
[1] Vgl. https://climate.ec.europa.eu/eu-action/eu-emissions-trading-system-eu-ets_en
Auswirkungen des europäischen CBAM auf den Wohlstand
Die CBAM-Tarife sind vom Preis der EU-Emissionshandelszertifikate abhängig, wobei in unserem Basisszenario eine Bepreisung der CO2-Emissionen in Höhe von 100 Euro angenommen wird. Von den 45 in unserem Datensatz vertretenen Wirtschaftszweigen sind 9 von solchen Tarifen betroffen. Die wichtigsten betroffenen Warengruppen sind Strom (NACE D), Erdöl (NACE C19), Mineralien (NACE C23) und Metalle (NACE C24), mit Tarifäquivalenten von bis zu 10 % bei einem angenommenen CO2-Preis von 100 Euro.
Die wirtschaftlichen Implikationen solcher durch die EU- und EFTA-Länder auferlegter Tarife werden in Abbildung 1 dargestellt. Es wird deutlich, dass sich die Handelsbedingungen für die EU verbessern, da die Produkte unelastisch bereitgestellt werden; die Importpreise abzüglich der CBAM-Tarife sinken, während die Exportpreise steigen. In dem angenommenen Basisszenario mit einer Bepreisung der CO2-Emissionen in Höhe von 100 Euro nimmt der Wohlstand in der EU laut Modell um 0,016 % zu, während die Handelsbedingungen und der Wohlstand in anderen Ländern um 0,005 % sinken. Global gesehen nimmt der Wohlstand nur marginal ab. Auf Grund der allgemein geringeren Nachfrage sinken die Reallöhne in allen Ländergruppen, allem voran in der EU (um 0,025 %). Je höher der zugrundeliegende CO2-Preis, desto stärker die Auswirkungen (siehe Abbildung 1).
Auswirkungen auf die globalen CO2-Emissionen
Die Zu- bzw. Abnahme von CO2-Emissionen wird in diesem Rahmen ausschließlich mit veränderten wirtschaftlichen Spezialisierungsmustern in Zusammenhang gebracht. Die Tarife, die im angenommenen Basisszenario mit einer Bepreisung der CO2-Emissionen in Höhe von 100 Euro beziffert werden, führen zu einer zunehmenden Spezialisierung auf CO2-intensive Wirtschaftszweige in der EU, wodurch die CO2-Emissionen in der EU um 0,72 % zunehmen (siehe Abbildung 2). Das Gegenteil geschieht in den anderen Ländern. Dort sinken die CO2-Emissionen um 0,143 %. Die globalen Auswirkungen sind nicht klar definierbar und hängen davon ab, wie CO2-intensiv die globale Warenproduktion in den beiden Ländergruppen ist. Allerdings ist die Produktion in EU-Ländern durchschnittlich weniger CO2-intensiv als in anderen Ländern, und die Produktion von Waren, deren Herstellung besonders CO2-intensiv ist, wird in die EU verlagert. Daher sinken die CO2-Emissionen global gesehen um 0,08 %. Je höher der CO2-Preis, desto stärker wird die Spezialisierung auf CO2-intensive Wirtschaftszweige in der EU vorangetrieben. Dementsprechend steigen die CO2-Emissionen stärker in der EU; nehmen aber global gesehen ab (siehe Abbildung 2).
Schlussfolgerungen
Erstens deuten die Ergebnisse dieser Studie global gesehen auf kleine, aber doch positive Umweltauswirkungen hin. Die Einführung des europäischen CBAM führt zu einer Reduktion der CO2-Emissionen insgesamt, da weniger Waren in Ländern mit CO2-intensiven Herstellungsprozessen, und mehr Waren in Ländern mit weniger CO2-intensiven Herstellungsprozessen gefertigt werden. Wie erwähnt, ist die Auswirkung auf das globale Emissionsvolumen aber relativ gering.
Zweitens zeigen unsere Hochrechnungen, dass der Wohlstand in jenen Ländern, die am CBAM teilnehmen (bzw. in den EU- und EFTA-Ländern), zunimmt. Umgekehrt nimmt der Wohlstand in den anderen Ländern ab. Was die Zu- bzw. Abnahme von CO2-Emissionen betrifft, so ergeben sich insgesamt nur relativ geringe Veränderungen.
Drittens zeigt sich: Je höher der zugrundeliegende CO2-Preis, desto stärker sind die Auswirkungen auf alle in der Studie berücksichtigen Variablen. Das überrascht nicht, zumal höhere CO2-Preise die Anwendung eines höheren CBAM-Tarifs implizieren.
Allerdings führt der CBAM zu einem Anstieg der CO2-Emissionen in der EU, da sich die dortigen Wirtschaftszweige stärker auf die Produktion von Waren spezialisieren, deren Herstellung CO2-intensiv ist. Hier ist unbedingt zu beachten: Dieser Ansatz berücksichtigt nicht, dass höhere Importkosten (und letztendlich steigende CO2-Preise) für Firmen einen Anreiz darstellen, weniger CO2-intensive Technologien einzusetzen. Außerdem könnten sektorspezifische Strategien im Rahmen des erweiterten klimapolitischen Rahmens der EU solch einen technologischen Wandel begünstigen (siehe Draghi 2024, Kapitel 3). Politische Entscheidungsträger:innen sollten sich auf die Regulierung von Sektoren mit hohen Emissionen – wie etwa der Energieversorgung und Schwerindustrie – konzentrieren und Anreize für den Umstieg auf klimafreundliche Technologien schaffen. Wirtschaftszweige, die geringe Emissionen verursachen, könnten von Maßnahmen profitieren, die den Fortschritt und umweltfreundliche Innovationen voranbringen. Solch ein Ansatz würde dem europäischen Klimagesetz („EU Green Deal“) entsprechen, einen effektiven Übergang zu einer CO2-emissionsarmen Wirtschaft fördern und zugleich die Wettbewerbsposition der EU stärken.
Literaturangaben
Caliendo, L. & F. Parro (2015), Estimates of the trade and welfare effects of NAFTA, The Review of Economic Studies, Bd. 82(1), S. 1-44.
Draghi, M. (2024), The future of European competitiveness – Part A: A competitiveness strategy for Europe, Europäische Kommission. Abrufbar unter: https://commission.europa.eu/topics/strengthening-european-competitiveness/eu-competitiveness-looking-ahead_en
Flórez Mendoza, J., O. Reiter & R. Stehrer (2024), EU carbon border tax: General equilibrium effects on income and emissions, wiiw-Arbeitspapier, Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw), erscheint in Kürze.
Autoren:
Robert Stehrer ist wissenschaftlicher Leiter am Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw). Seine Expertise deckt ein breites Feld der Wirtschaftsforschung ab, das von Fragen der internationalen Integration, des Handels und der technologischen Entwicklung bis hin zu Arbeitsmärkten und angewandter Ökonometrie reicht. Seine jüngsten Arbeiten konzentrieren sich auf die Analyse und die Auswirkungen der Internationalisierung der Produktion und des Wertschöpfungshandels. Weitere Beiträge beziehen sich auf den Zusammenhang von Digitalisierung, Demographie, Produktivität und Arbeitsmärkte. Er studierte Volkswirtschaft an der Johannes Kepler Universität und Soziologie am Institut für Höhere Studien (IHS) und ist Lektor für Wirtschaftswissenschaften an der Wirtschaftsuniversität Wien (WU Wien) und der Technischen Universität Wien (TU Wien).
Javier Flórez Mendoza ist Ökonom am Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw). Seine Forschungsschwerpunkte sind internationaler Handel, Handelspolitik, europäische Integration, Umweltökonomie und Regionalökonomie. Er ist PhD-Kadidat an der Wirtschaftsuniversität Wien.
Die Grafiken wurden von Alireza Sabouniha erstellt. Alireza Sabouniha ist Research Assistant am wiiw und PhD-Kandidat an der Leopold-Franzens Universität Innsbruck.
Der US-Präsidentschaftskandidat hat für den Fall seiner Wiederwahl massive Zollerhöhungen auf US-Importe allgemein und gegen China im Besonderen angekündigt. Solche Maßnahmen würden das globale Handelssystem weiter destabilisieren und hätten auch unmittelbare negative Auswirkungen auf die Einkommen in den jeweiligen Exportmärkten wie der EU oder China. Noch stärker wären die Folgen jedoch für die USA selbst, wie unsere Berechnungen anhand eines multisektoralen Gleichgewichtsmodells zeigen.
Einleitung
So unvorhersehbar der Ausgang der US-Präsidentschaftswahl am 5. November ist, so ungewiss sind auch die möglichen Folgen für die internationale Wirtschaftspolitik und das globale Handelssystem. Letztere hängen allerdings nicht allein davon ab, ob Kamala Harris oder Donald Trump gewinnt, sondern auch von den neuen Mehrheiten im US-Kongress sowie den dort handelnden Personen. Harris und Trump verfolgen teilweise ähnliche Ziele, wie z. B. den Schutz der heimischen Industrie, die Sicherung von Arbeitsplätzen, die Rückverlagerung verlorener Branchen in die USA, die Wahrung der technologischen Führungsrolle der USA und die Verringerung der Abhängigkeit von internationalen Lieferketten. Trotzdem unterscheiden sich die Ansätze von Harris und Trump erheblich in Bezug auf die Radikalität der geplanten Maßnahmen, die Geschwindigkeit, mit der diese umgesetzt werden würden, sowie in der Art der geplanten Umsetzung. Ein wesentlicher inhaltlicher Unterschied betrifft die Klima- und Umweltpolitik, bei der wohl nur von Harris konstruktive Ansätze zu erwarten sind (für Details siehe Stehrer 2024).
Die angekündigten Zollerhöhungen
Eine der wichtigsten Drohkulissen Donald Trumps sind die angekündigten Zollerhöhungen auf 10 % für alle US-Importe und eventuell auf 60 % (oder sogar mehr) für Importe aus China – wobei Trump in seinen Wahlkampfveranstaltungen auch noch höhere Zölle in den Raum gestellt hat. Um die Auswirkungen solcher Zollerhöhungen abschätzen zu können, ist es zunächst notwendig, die aktuellen Zolltarife zu kennen (siehe Abbildung 1 zu den durchschnittlichen Zollsätzen). Die EU erhebt gegenüber den USA und China Zölle von 5,2 %; die USA erheben gegenüber der EU27 Zölle von 3,5 % bzw. gegenüber China durchschnittlich Zölle von 3,6 %. China verlangt im Durchschnitt höhere Zölle von 7,5 (gegenüber der EU) bzw. 7,6 % (gegenüber den USA). Der angekündigte Anstieg der US-Importzölle auf 10 % unter Trump würde somit etwa eine Verdreifachung bedeuten.
Auswirkungen der Zölle in einem Gleichgewichtsmodell
Die Auswirkungen solcher Zollerhöhungen können mithilfe von Handelsmodellen (wie z. B. allgemeinen Gleichgewichtsmodellen) abgeschätzt werden. Berechnungen auf Basis des Modells nach dem Ansatz von Caliendo und Parro 2015 (für Details siehe Mendoza et al. 2024) zeigen, dass bei einem Anstieg der US-Importzölle auf mindestens 10 % – sofern höhere Zölle auf dem ursprünglichen Niveau bleiben – das Gesamteinkommen in den USA, einschließlich der Zolleinnahmen, um 0,08 % steigen würde. Allerdings würden die Realeinkommen, die diese Zolleinnahmen nicht berücksichtigen, um etwa 0,14 % sinken – vor allem, weil die Importe teurer werden. Die Einkommen in China würden um etwa 0,02 % zurückgehen, während die EU-Länder mit einem Rückgang von 0,05 % etwas stärker betroffen wären. Bei einer weiteren Erhöhung der Zölle auf 60 % für Importe aus China würde das US-Einkommen (inklusive Zolleinnahmen) zwar um 0,12 % steigen; jedoch würden die Realeinkommen noch stärker um 0,33 % sinken. In China wären in diesem Szenario die Einkommensverluste mit 0,15 % etwas höher. Für die EU27 würde der Einkommensrückgang ungefähr gleich stark wie vorher ausfallen. Insgesamt würde das globale Handelsvolumen durch die geplanten Zollmaßnahmen leicht sinken.
Schlussfolgerungen
Unsere Schätzungen zeigen, dass die angekündigten Zollerhöhungen auf US-Importe die Realeinkommen in den USA selbst am stärksten treffen würden (ähnlich argumentieren Clausing und Lovely (2024) sowie Baldwin (2024)). Die geplanten Zollerhöhungen hätten auch (relativ) geringe negative Auswirkungen auf die Einkommen der US-Handelspartner.
Insgesamt ist zu betonen, dass unsere Berechnungen unter der Vollbeschäftigungsannahme gelöst wurden und keine weiteren Faktoren berücksichtigen. Relevante Faktoren wären etwa Vergeltungsmaßnahmen und somit Zollerhöhungen anderer Länder gegen US-Importe – oder weitere negative Wachstumseffekte aufgrund von Unsicherheiten und einem Rückgang der globalen Handelsströme. Solche Entwicklungen hätten nochmals stärkere, negative Gesamtauswirkungen zur Folge.
Obwohl die angekündigten Zollerhöhungen insgesamt überschaubare Effekte auf die Einkommen und den globalen Handel hätten, ist davon auszugeben, dass solche unilateralen Maßnahmen unter einer Präsidentschaft von Trump das internationale Handelssystem weiter destabilisieren würden.
Referenzen
Baldwin, R. (2024), Will Trump’s tariffs on China harm US manufacturing?, Factful Friday (via LinkedIn).
Caliendo, L. and F. Parro (2015), Estimates of the Trade and Welfare Effects of NAFTA, Review of Economic Studies, 82(1): 1–44.
Clausing, K.A. and M.E. Lovely (2024), Why Trump’s Tariff Proposals Would Harm Working Americans, PIIE Policy Brief, May 2024.
Mendoza, J., O. Reiter and R. Stehrer (2024), EU Carbon Border Tax: General Equilibrium Effects on Income and Emissions, wiiw Working Paper, forthcoming.
Stehrer, R. (2024), Mögliche Auswirkungen der US-Präsidentschaftswahl auf den Welthandel, FIW Jahresgutachten – Update 2024, Kapitel 2. Abrufbar unter: https://www.fiw.ac.at/publications/fiw-jahresgutachten-update-oktober-2024
Autoren:
Robert Stehrer ist wissenschaftlicher Leiter am Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw). Seine Expertise deckt ein breites Feld der Wirtschaftsforschung ab, das von Fragen der internationalen Integration, des Handels und der technologischen Entwicklung bis hin zu Arbeitsmärkten und angewandter Ökonometrie reicht. Seine jüngsten Arbeiten konzentrieren sich auf die Analyse und die Auswirkungen der Internationalisierung der Produktion und des Wertschöpfungshandels. Weitere Beiträge beziehen sich auf den Zusammenhang von Digitalisierung, Demographie, Produktivität und Arbeitsmärkte. Er studierte Volkswirtschaft an der Johannes Kepler Universität und Soziologie am Institut für Höhere Studien (IHS) und ist Lektor für Wirtschaftswissenschaften an der Wirtschaftsuniversität Wien (WU Wien) und der Technischen Universität Wien (TU Wien).
Oliver Reiter ist Ökonom und Data Scientist am Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw). Seine Forschungsschwerpunkte sind internationaler Handel, nicht-tarifäre Maßnahmen im Handel, die Erstellung/Aktualisierung einer multiregionalen Input-Output-Datenbank (wie WIOD) und agentenbasierte makroökonomische Modelle. Er hat einen Bachelor- und einen Master-Abschluss in Volkswirtschaft, einen Bachelor-Abschluss in Statistik und einen Master-Abschluss in Informatik, alle von der Universität Wien. Er ist zurzeit Doktorand an der Wirtschaftsuniversität Wien.
Die Grafiken wurden von Alireza Sabouniha erstellt. Alireza Sabouniha ist Research Assistant am wiiw und PhD-Kandidat an der Leopold-Franzens Universität Innsbruck.